Quelle: Bericht Fachzeitschrift KOMPETENZ 25.07.2018 siehe Bilder im Anhang Der Unfallchirurg Wolfgang Schaden, Mitglied der Zukunftskommission der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie, erklärt im Interview, warum die Selbstverwaltung vor politischer Einflussnahme schützt, und warum das hohe Niveau der medizinischen Versorgung mit Einsparungen nicht aufrechterhalten werden kann.
KOMPETENZ: Muss die Sozialversicherung sparen?
Schaden: Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man ausgerechnet im Gesundheitswesen sparen sollte. Jeder, der einmal in einer Spitalsambulanz war oder auf einen Operationstermin gearbeitet hat, wird nicht einsehen, warum gerade in diesem Bereich gespart werden sollte.
KOMPETENZ: Die Regierung will, dass die AUVA 500Millionen einspart. Das Geld soll im System gespart.werden, damit mehr bei den Patientinnen ankommt.
Schaden: Das stimmt so nicht. Was die AUVA betrifft, sollen 500 Millionen Euro aus dem System entnommen bzw. nicht mehr hineingezahlt werden. Hier landet kein Cent mehr bei den Patienten, sondern eswerden im Gegenteil die Mittel der Patientenversorgung entzogen. Es geht darum, die Beitragszahlungen,die die Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter abführen, zu reduzieren, wovon vor allem große Unternehmen mit vielen Mitarbeitern profitieren werden. Ich illustriere das anhand einer einfachen Rechnung:Derzeit zahlen alle Arbeitgeber 1,3 Prozent des Bruttogehaltes pro Mitarbeiter an die Unfallversicherung. Wurden alle Beschäftigten 2.000 Euro brutto pro Monat verdienen, musste ein Unternehmen 26 Euro monatlich pro Beschäftigten bezahlen. Die Regierung hat der Wirtschaft nun eine Beitragssenkung auf 0,8Prozent in Aussicht gestellt, wodurch sich der Beitrag auf 16 Euro monatlich reduzieren wurde. Der Unfallversicherung fehlen so 500 Millionen Euro pro Jahr.
KOMPETENZ: Was bringt diese Ersparnis?
Schaden: Für kleine Betriebe wäre das völlig unlukrativ, denn die Senkung wurde ihnen nur wenig Geld ersparen,auf der anderen Seite wurden aber viele wichtige Leistungen der AUVA im Bereich Unfallverhütung wegfallen. Das kann vor allem für Betriebe, die eine hohe Unfallgefahr haben, kritisch werden – sie erhalten weniger Unterstützung in der Prävention.
KOMPETENZ: Wer würde profitieren?
Schaden: Die wirklichen Gewinner der geplanten Beitragssenkung waren Großbetriebe mit 10.000 und mehr Mitarbeiterinnen. Die als Reform verkaufte Umstrukturierung zielt auf eine massive Umverteilung hinzu den großen Betrieben ab. Die 500 Millionen Euro fehlen uns dann im Bereich Unfallheilbehandlung, in der Rehabilitation und auch in der Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten.
KOMPETENZ: Es würde tatsächlich zu Leistungseinschränkungen in der Unfallversorgung kommen?
Schaden: Wenn man die Beiträge weiter senkt, ist das Leistungsniveau nicht zu halten. Das war bereits bei der vorigen Beitragssenkung erkennbar. Vor zweieinhalb Jahren wurde der Beitragssatz für die Unfallversicherung von 1,4 Prozent auf 1,3 Prozent abgesenkt. Den Verlust der jährlichen Einnahmen von 100 Millionen Euro konnten wir teilweise noch ausgleichen. Die AUVA hat massive Personaleinsparungen hinter sich und bereits alles optimiert, was möglich ist. Wir haben beim medizinischen Personal und in den Rehabilitationseinrichtungen keinen Spielraum für weitere Einsparungen.
KOMPETENZ: Was wären die Konsequenzen weiterer Einsparungen?
Schaden: Die Einbußen sind für die Patientinnen bereits jetzt spürbar. Vorigen Sommer mussten wir aufgrund des Spardruckes die Station für Schwerstverbrannte im Unfallkrankenhaus Linz schliefen. Zwischen Wien und Innsbruck gibt es nun keine Möglichkeit mehr, schwerstverbrannte Patientinnen adäquat zu versorgen. Da ja Umwälzungen von „versicherungsfremden “Leistungen nicht vorgesehen sind, waren mit den geforderten Einsparungen zwangsweise weitere Leistungsreduktionen verbunden.
„DIE WIRKLICHEN GEWINNER DER GEPLANTEN BEITRAGSSENKUNG WÄREN GROSSBETRIEBE MIT 10.000 UND MEHR MITARBEITERiNNEN.“
KOMPETENZ: Was zeichnet die Qualität der Unfallheilbehandlung aus?
Schaden: Wir haben den gesetzlichen Auftrag, die Versorgung von Unfall Patientinnen in den eigenen Einrichtungen mit allen geeigneten Mitteln, also bestmöglich, durchzufuhren.
KOMPETENZ: Steht eine Versicherungspflicht im Raum, bei der die Menschen zwischen privaten Anbieternauswählen müssen?
Schaden: Wenn das kollektive System kaputtgespart wird, konnten private Unternehmen diese Lücke füllen. Für die Versicherten wurde das keine Verbesserung bedeuten. Die Osterreicher haben im 19. Jahrhundert gelernt, dass Solidarität in der Sozialversicherung Sinn macht, weil es schlau ist, das Risiko auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Diese Erkenntnis sollte nicht in Vergessenheit geraten!
KOMPETENZ: Steuern wir in die Richtung einer unsolidarischen Gesellschaft?
Schaden: Wenn jeder sein Risiko selbst tragen muss, werden gewisse Branchen, wie beispielsweise die holzverarbeitende Industrie, Schlossereien oder Dachdeckereibetriebe mit hohen Risiken für Arbeitsunfalle, dramatisch hohe Versicherungsprämien zu bezahlen haben. Große Unternehmen wie Immobilienmakler oder international tätige Finanzberater wurden dagegen recht günstig aussteigen. Das wäre für unser System ein Ruckschritt. In Deutschland ist kürzlich ein Fall bekannt geworden, bei dem ein Unfall auf dem Weg zur Toilette nicht als Arbeitsunfall qualifiziert wurde. Die Versicherung hat die Leistungspflicht abgelehnt. Das wäre bei uns – derzeit – nicht möglich. Wir leben in einem System mit hoher sozialer Sicherheit. Wenn man jetzt die Beitragseinnahmen kurzen will, sind die Verantwortlichen ganz off ersichtlich nicht daran interessiert, dieses System zu erhalten.
KOMPETENZ: Kann die Reform Verschlechterungen bringen?
Schaden: Das hohe Niveau der Versorgung ist mit weiteren Einsparungen nicht aufrechtzuerhalten. Das ist theoretisch und praktisch unmöglich. Derzeit sieht es so aus, als ob es zu einer Verschiebung der Beitragslast kommen konnte.
KOMPETENZ: Wie funktioniert diese Verschiebung?
Schaden: Ich bleibe beim oben ausgeführten Beispiel aus der Unfallversicherung: Durch die Beitragssenkung auf 0,8 Prozent fliesen monatlich pro Arbeitnehmerin 10 Euro weniger ins Budget der sozialen Unfallversicherung. Will mandie Leistungen beibehalten, muss jemand anderer dies ausgleichen. Üblicherweise ist das dann die Krankenversicherung, bei der die Finanzierung aber im Verhältnis 50:50 zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern aufgeteilt ist. Es wurde also die Belastung der Arbeitnehmerinnen einseitig erhöhen.
KOMPETENZ: Warum will die Regierung die Sozialversicherung umstrukturieren? Funktioniert die Selbstverwaltung nicht?
Schaden: Ich halte es für demokratiepolitisch sehr wertvoll, wenn die Versicherten, so wie derzeit, selbst mit jenen Mitteln umgehen, die sie auch einzahlen. Die Versichertenvertreter sind ein essenzielles Gut, weil sie auch in Krisenzeiten darauf achten können, dass die Gelder dahin fliesen, wo sie hingehören: zu den Patientinnen. Das ist sozial- und demokratiepolitisch wichtig. Nun wird die Selbstverwaltung schlechtgemacht, um die Sozialversicherung zu einer politischen verwalteten Institution zu machen – der Einfluss bestimmt sich dann nach den aktuellen Machtverhältnissen. Politisch besetzte Generaldirektoren wurden weit mehr kosten als die gesamte Selbstverwaltung in Osterreich, die den Versichertenvertretern derzeit reine Aufwandsentschädigungen und Weggelder, aber keine Gehälter bezahlt. Der Angriff auf die Selbstverwaltung ist ein riesiger Skandal, die Art und Weise, wie ein funktionierendes System beschmutzt wird, ist völlig unangemessen und demokratiepolitisch bedenklich. Die Kultur der Pragmatisierung wurde zum Schutz von Beamten errichtet, damit sie keiner politischen Willkür ausgesetzt sind.
KOMPETENZ: Kann es passieren, dass künftig die Verwaltung bestimmt, welche medizinischen Leistungen erbracht werden?
Schaden: Die Angst haben wir.